Es ging um mehr Platz und den Charme eines Hauses im Tessiner Stil. Und auch um die Frage, wie man aus einem Fünfzigerjahrebau ein Minergie-P-Gebäude macht.
Wer durch Sissach spaziert und oben am Haus der Familie Schneebeli vorbeikommt, sieht einen Neubau und glaubt
das alte Haus abgerissen. Doch schaut er noch ein wenig genauer hin, entdeckt er Treppen, Geländer und Rundbögen, die älter und vertraut scheinen. Der Sitz der Fenster, diese Tür, die ganze Form des Wohnhauses – war das Gebäude doch schon immer da? Tatsächlich: Unter der Fassade steckt noch das alte Haus mit flachem Walmdach, grossen Kaminzügen und einem von Bögen gestützten Terrassendach. Die bestehenden Tessiner Stilelemente sollten bei der Sanierung so weit als möglich erhalten bleiben. Der Umbau war ein Spagat zwischen Erhalten und Erneuern, zwischen der Liebe zum Alten und dem Bekenntnis zum Neuen, zwischen vergangener und neuer Technik. Heute erfüllt das Haus mit Baujahr 1953 den Minergie-P-Standard.
Als Familie Schneebeli das Haus vor zwei Jahren fand, wusste sie: Das ist es! Doch etwas Entscheidendes stimmte überhaupt nicht: Die Wohnfläche war für das Paar mit zwei Kindern zu klein. So wusste die Familie schon beim Kauf, dass sie das neue Zuhause zuallererst umbauen müsste. Architekt Markus Oegerli vom Büro H-O schlug eine Aufstockung vor. Arbeiter nahmen das Walmdach herunter, setzten eine Etage drauf. Schon jetzt erschien das Haus optisch neu und modern – ein weisser Würfel. Um eine einheitliche Fassadenwirkung zu erzielen, dämmte der Architekt das alte Erdgeschoss aus Einsteinmauerwerk mit 22 Zentimeter dicken Steinwollplatten. Beim Obergeschoss genügten sechs Zentimeter dicke Platten, denn der Aufbau war in Holzrahmenbauweise erstellt und zwischen der Tragkonstruktion bereits gut gedämmt. Steinwolle wurde gewählt, weil das Material zugleich diffusionsoffen und schwer ist. Letzteres war wichtig, um das Gebäude auch gegen die Geräusche der nahen Autobahn zu dämmen.
«Man sollte nicht einfach eine Aussendämmung auf ein Objekt kleben», sagt Oegerli über seine Erfahrungen bei energetischen Sanierungen, «sondern sich auch Gedanken über Proportionen und Detaillösungen machen.» Er achtete deshalb darauf, Grösse und Sitz der Fenster zu erhalten. Damit sie nicht plötzlich tief im Mauerwerk verschwinden, wurden die Rahmen aussen befestigt. Und um den Ausdruck des ursprünglichen Hauses beizubehalten, erhielt das neue Obergeschoss Fenster in derselben Grösse.
Knackpunkt Luftdichtigkeit
Energetisch sanieren im Bestand bedeute immer auch, Individuallösungen zu finden. Ein Beispiel dafür ist der Einbau einer kontrollierten Raumlüftung, die automatisch kniffliger ist als bei einem Neubau, wo sie gleich von Anfang an mitgeplant wird. «Aber man findet immer Möglichkeiten», sagt Markus Oegerli. Beim Haus der Schneebelis wurde die Decke des Korridors abgehängt, um im Zwischenraum die Lüftungsleitungen zu den Zimmern zu verlegen. Eine praktikable Lösung, die nicht viel Aufwand bedingte. Das Fazit des Architekten: «Der Gang hat dadurch zwar weniger Raumhöhe – das ist aus unserer Sicht aber vertretbar.»
Auch im Innern hat das Haus seinen an die Bauweise von Häusern im Tessin angelehnten Charakter weitgehend bewahrt. «Die Stimmung ist geblieben», freut sich Bauherrin Gabriele Schneebeli. Beibehalten wurden etwa die Raumaufteilung und die Cheminées, von denen eines mit einer Verglasung versehen weiterhin in Betrieb ist. Das andere dient nur noch als Dekoration. Auch etwas anderes blieb, das manche als Manko empfinden, das aber den Altbaueindruck besonders nachdrücklich ausmacht: «Im Haus gibt es praktisch keinen rechten Winkel», sagt die Hausherrin und fügt hinzu: «Das merkt man, wenn man Bilder aufhängen will.»
Rückblickend war für den Architekten die Sanierung der Gebäudehülle die grösste Knacknuss. Vor allem die für den Standard Minergie-P geforderte Luftdichtigkeit zeigte sich als grosse Herausforderung: «Im Gegensatz zu einem Neubau gehört bei einer Sanierung das Untergeschoss meist nicht zum Dämmperimeter. Entsprechend bildet die Kellerdecke die unterste Dämmebene.» Und diese Decke zugleich auch luftdicht zu bekommen, war ein Problem: Im Haus der Schneebelis besteht sie zum Teil aus einer Holzbalkenlage und zum Teil aus Hourdiselementen. Letztere dämmen dank ihrer Luftkammern zwar, sind aber nicht besonders luftdicht. Erschwerend kam hinzu, dass an verschiedenen Stellen Kabel von der Elektroverteilung im Keller durch die Decke in die darüber liegenden Wohnräume geführt werden mussten – alles Stellen, an denen die Luft leicht entweichen kann. Diese Ausgangslage sorgte am Ende für ein wenig Aufregung, denn das Gebäude bestand die Luftdichtigkeitsprüfung, die in diesem Fall bei geöffneten Kellerfenstern durchgeführt werden musste, erst beim dritten Mal. Vorher war es nötig, die Decke noch einmal nachzudichten. Die Herausforderungen eines Umbaus, bei dem Minergie-P erreicht werden soll, sind sehr individuell und auch für erfahrene Architekten immer wieder überraschend. Doch eins gilt für alle und hat sich auch da wieder gezeigt: «Eine energetische Sanierung», sagt Markus Oegerli, «braucht Kreativität und Liebe zum Detail.»